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AutorenbildLisa Gutzelnig

Wäre Beethoven heute Umweltschützer

Oder: Wie die unerschöpfliche Ressource „Musik“ den Planeten befrieden kann. Zugegeben, eine spannende Headline, die mit der Frage „Was hat Musik mit Nachhaltigkeit zu tun?“ begann und bei einem der größten Komponisten der Klassik endete.


Es war Beethoven, der schon im 19. Jahrhundert eine Sinfonie über das Empfinden der Menschen in der Natur schrieb und der seine musikalischen Inspirationen gerne auf ausgedehnten Spaziergängen auf dem Land sammelte. Die resilienzfördernde Kraft der Musik scheint unerschöpflich und ist vielfach beschrieben worden. Besonders eindrücklich von Beethoven selbst.


„Bei allem, was Menschen in der Lage sind, sich gegenseitig oder der Natur anzutun, hinterlässt mich die Schönheit der Musik mit Lebenszuversicht und Vertrauen in das kreative Potenzial der Menschen. Wenn die Herausforderungen, vor denen wir stehen menschengemacht sind, dann sind sie auch grundsätzlich lösbar. Mit Musik glaube ich wieder daran, dass wir es schaffen können, uns selbst und als Menschheit grundlegend wandeln zu können. Musik beschäftigt meine Lebenszuversicht und macht mich ein Stück weit immun gegen die Dystopien der Zeit.“


Musik als immaterielles Konsumgut


Musik ist eine zutiefst immaterielle Kunst. „Was mich angeht, ja du lieber Himmel, mein Reich ist in der Luft. Wie der Wind oft, so wirbeln die Töne, so oft wirbelt es auch in der Seele“, umschreibt Ludwig von Beethoven sein nichtstoffliches, rein geistiges Metier. Der Akt des Komponierens, Musizierens und aktiven Hörens von Musik bindet so gut wie keine Ressourcen.


Mit einem an Musik reichen Leben lässt sich ein gelingendes Dasein innerhalb der planetarischen Grenzen führen, das nicht als Verzicht erlebt wird. Im Gegenteil: Musik erfüllt und ist gleichzeitig eine wichtige Ressource, um den Konsum von materiellen Gütern zu beschränken und den Fokus des eigenen Lebens auf Fülle und immaterielle Güter zu lenken.


Wertschätzung von Interdependenz


Eine weitere Qualität im Sinne der Nachhaltigkeit von Musik ist, dass sie auf spielerische Art die Wertschätzung von Interdependenz fördert, also die wechselseitige Abhängigkeit verschiedenster Parameter. Anders formuliert kann man sagen: In der Musik gibt es keine unabhängigen Elemente, wie es der Musiker und Aktivist Daniel Barenboim ausdrückt: „In der Musik muss alles ständig und auf Dauer miteinander verbunden werden. Der Akt des Musizierens besteht darin, alle der Musik inhärenten Elemente miteinander zu einem Ganzen zu verschmelzen.“ Musiker gehen in ihrem Akt des Musizierens systemisch vor. Sie setzen die Parameter ihres musikalischen Instrumentariums, wie etwa Takt, Rhythmus, Tempo, Tonart, Klangfarbe, Melodik und Dynamik in ein Verhältnis zueinander.


Der systemische Zugang weitet den Blick und unterscheidet das Weltbild des Musikers grundlegend von dem technischen Weltbild, das Ursache und Wirkung wie in einem Räderwerk stets linear beschreibt. Wir alle spüren nach und nach, dass das mechanistische Weltbild für die globalisierte Welt veraltet wirkt, dass das Zahnrad nicht mehr das Symbol ist, durch welches die Komplexität am besten veranschaulicht werden kann. Wir beginnen zu verstehen, dass es uns doch trifft, wenn in China der sprichwörtliche Reissack umfällt oder ein Tornado in den USA wütet. Die Musik vermag es uns zu veranschaulichen, dass alles mit allem verbunden ist. Sie verschafft uns einen erweiterten Blick auf die Dimensionen globaler Herausforderungen. Sie kann unser Ohr und unser Auge dafür öffnen und zeigt uns auf, dass es in der Klimakrise keine Lösung im Sinne des fatalen „I alone can fix it“ geben kann.


Beherrschung von Komplexität

Beethoven hat Zeit seines Lebens die Routine verachtet und immer wieder mit einer Art Überbietungsgestus versucht, die Grenzen dessen, was Musikschaffen seiner Zeit ausmachte, zu erweitern. 1822 komponierte Beethoven die „große Fuge“ – das komplexeste Werk seiner Zeit – mit 741 Takten. In der Partitur haben Wissenschaftler acht Themen, zehn Zyklen und 15 Variationen, identifiziert. Das Werk ist in einem solchen Maße an Dichtheit konzipiert, dass man es vielleicht noch analysieren aber seine Komplexität auf keinen Fall mehr raushören kann. Wenn es schön, harmonisch und ästhetisch klingt, ein Höchstmaß an Komplexität zu vereinen, warum sollte es nicht auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen möglich sein?


Welche Rolle kann also Musik für die transformative Prozesse in der Gesellschaft spielen? Was können wir von ihr lernen? Eine Gesellschaft die hellhörig bleibt für die globalen Herausforderungen unserer Zeit, weise genug ist, um zu wissen, dass wie in der Musik auch in der Natur alles mit allem verbunden ist und resilient genug, um sich tatsächlich anzupassen und zu verändern. Wer eine nachhaltige Gesellschaft möchte, sollte die Teilhabe auf allen Ebenen stärken. Und das würde Ludwig van Beethoven ganz sicher unterstützen.


Music for Future


„Keine Musik auf einem toten Planeten.“ Der Slogan der Initiative „Music Declares Emergency“ (Musik ruft den Notstand aus) lässt sich kaum missdeuten. Ins Leben gerufen im Juli 2019, ist die Liste der Unterstützer auf mehr als 1.300 Organisationen und rund 3.100 Künstler gewachsen. Es finden sich prominente Namen wie Billie Eilish, Arcade Fire oder die Foals. Außer der Forderung nach mehr Aufklärung über den Klima-Notstand und einem Appell an die Regierungen, den CO2-Ausstoß schneller zu senken, bekennen sich die Akteure auch dazu, in ihrer eigenen Branche anzusetzen.


Ausblick


Es ist praktisch unmöglich als Künstler, Musiker und Mensch nicht auf die Weltsituation zu reagieren. Musiker werden stundenlang auf der Bühne angesehen und gehört. Das ist ein unglaubliches Privileg. Musik verbindet Menschen auf der ganzen Welt. Es ist ein Zeugnis für die Kraft der Musik, Barrieren zu überwinden und Brücken zwischen Gemeinschaften zu bauen. Nutzen wir das, um Geschichten zu erzählen, die uns am Herzen liegen. Musiker können das Publikum zur Auseinandersetzung mit dem jeweils eigenen Beitrag zur Nachhaltigkeit anregen und damit wichtige Impulse in die Gesellschaft geben. Die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit spricht breite Bevölkerungsschichten an. Die Musik an sich trägt keinerlei Verantwortung, außer vielleicht ästhetisch und harmonisch zu klingen, ihrer selbst willen. Musik allein wird die Welt nicht verändern. Da sie aber aus Menschenhand stammt, hat sie auch die Kraft, die Zukunft menschenwürdig mitzugestalten.


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