Nicht tierische Produkte nachahmen, sondern vertraute Geschmäcker in neuen pflanzlichen Kontext setzen.
Interview mit Niko Rittenau
IN DREI SÄTZEN
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Er räumt in seinen Büchern, Vorträgen und Seminaren mit Ernährungsmythen auf. Guter Geschmack kommt für ihn ausschließlich aus nicht-tierischen Produkten und Kritikern begegnet er mit wissenschaftlichem Know-how. Grund genug, um im Interview seinen persönlichen Zugang zu erkunden.
Mit seinem Buch „Vegan-Klischee ade!“ hat der Wahlberliner einen Bestseller vorgelegt, der das Zeug zum allumfassenden Nachschlagewerk für pflanzliche Ernährung auf lange Zeit hat. Nach seiner touristischen Ausbildung hat ihn die Lehre und Erforschung der Ernährungsberatung, Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin gepackt. Und auch die Welt des guten Geschmacks, wie er mit Profikoch, Kochtrainer und Permakulturpraktiker Sebastian Copien als kongenialem Partner in „Vegan-Klischee! Das Kochbuch“ beweist. Nachkochen dringend empfohlen. Aber zuerst wollen wir den Mann hinter dem gesammelten Fachwissen näher kennenlernen.
Wie sind Sie selbst zur veganen Ernährung gekommen und sind Sie auf Anhieb dabeigeblieben?
Ich bin 2013 auf eine vegane Ernährung umgestiegen und war damals in erster Linie aus ethischen Überlegungen darauf gekommen und bin seitdem auch dabeigeblieben. Ich wollte schlichtweg der Grundregel der praktischen Ethik „Tu anderen nichts an, was du nicht selbst möchtest“ folgen und empfand es daher für mich schlüssig, andere Lebewesen nicht für meinen Genuss töten zu lassen, da ich es ja auch selbst in deren Situation nicht wollen würde. Damals existierten allerdings noch viele gesundheitliche Mythen um die vegane Ernährung und so war ich entsprechend verunsichert, ob eine Ernährung ohne tierische Produkte überhaupt bedarfsdeckend sein kann. Weil ich Dinge nicht nur anderen glauben, sondern auch wirklich die zugrunde liegende Wissenschaft dahinter verstehen wollte, habe ich damals mein Bachelor- und danach Masterstudium im Ernährungsbereich begonnen, um mir hier sicher zu sein.
Können Sie sich an Ihre erste vegane Essenserfahrung erinnern?
Ich weiß nicht mehr genau, was meine allererste vegane Essenserfahrung war, aber ich kann mich noch gut an meine erste besonders prägende veganen Essenserfahrungen erinnern. Ich war damals noch ganz neu in Berlin und war zu Gast im Restaurant Kopps, wo sie als Vorspeise einen veganen „Eiersalat“ servierten. Dieser schmeckte aufgrund des verwendeten Kala-Namak-Salzes (Schwefelsalz) so dermaßen nach Ei, dass ich damals zum ersten Mal begriffen habe, dass es nicht das tierische Produkt per se ist, das einen gewissen Geschmack bringt, sondern in erster Linie die Summe der darin enthaltenen Stoffe sowie die verwendeten Gewürze und die Zubereitung. Dabei geht es auch weniger darum einfach nur tierische Produkte nachzuahmen, sondern in erster Linie darum, vertraute Geschmäcker in einem neuen pflanzlichen Kontext zu präsentieren.
Was bringt vegane Ernährung der (Um-)Welt? Warum ist diese Ernährungsform besonders nachhaltig?
Das ökologische Thema ist zu komplex für pauschalisierende Aussagen und als Ernährungswissenschaftler ist es auch nicht mein primäres Fachgebiet, aber ein Blick auf die zahlreichen Publikationen von Wissenschaftlern und Fachgesellschaften zeigt, dass es zum einen die Gefahr des Auftretens von gravierenden Antibiotikaresistenzen sowie neuartigen Zoonosen ist, die vor allem aufgrund der industrialisierten Intensivtierhaltung in den vergangenen Jahrzehnten ein ungeahntes Ausmaß angenommen hat. Zum anderen ist es die Ressourcenintensität und der Flächenverbrauch vieler tierischer Produkte, die aufgrund des Übermaßes des Tierkonsums zum Problem werden. Selbstverständlich ist auf der anderen Seite nicht jedes vegane Produkt frei von Kritik und auch innerhalb der veganen Ernährung gibt es vielfältige unterschiedliche Ernährungsmuster, von denen manche besser und manche weniger gut für die Umwelt und die Gesundheit sind. In der Gesamtheit lässt sich aber sagen, dass eine durchschnittliche vegane Ernährung deutlich umweltfreundlicher als eine durchschnittliche westliche Mischkost ist.
Warum sollten Menschen öfter vegan essen, auch wenn sie keine ethischen Ansprüche haben?
Ich denke nicht, dass man die Frage nach den ethischen Ansprüchen so einfach übergehen kann, indem man sagt „ich habe keinen ethischen Anspruch an meine Essensentscheidungen“. Die Frage in der Tierethik ist ja nicht, ob es mich in meiner privilegierten Situation stört, ob ich Tierleid verursache, sondern wie es den Opfern meiner Handlungen damit geht. Unsere Gesellschaft entwickelte sich in den vergangenen hunderten von Jahren in ethischen Fragestellungen immer weiter und durch technologische Fortschritte sind wir heutzutage auch nicht mehr auf Tiere zu Transport-, Kleidungs- oder Nahrungszwecken angewiesen. Ich kann nachvollziehen, dass man tierische Produkte geschmacklich gerne mag, dass man es gewohnt ist und es auch praktisch ist, da man sie überall bekommt und vegane Alternativen noch nicht so weit verbreitet sind. All diese Aspekte würden wir allerdings wohl kaum als valide Gründe akzeptieren, wenn wir in der Situation der Tiere wären.
Wie wird die Ernährung sich Ihrer Meinung nach in Zukunft verändern/entwickeln?
Ich bin kein Zukunftsforscher und habe daher auch nur eine bedingte Kompetenz dies zu beantworten. Nach meinem Ermessen zeichnet sich aber im letzten Jahrzehnt ab, dass zum einen das Angebot an veganen Alternativen stetig wächst und es nicht nur immer mehr Veganer, sondern auch mehr und mehr Flexitarier gibt, die sich bewusst fleischreduziert ernähren und daher auch vegane Alternativen schätzen. Zusätzlich beobachten wir gerade eine echte Revolution in der sogenannten „Cellular Agriculture“ – also der zellbasierten Nahrungsmittelproduktion. Diese ermöglicht es uns, in den kommenden Jahrzehnten tierische Produkte wie Fleisch, Käse und Eier unabhängig vom Tier zu produzieren und damit den Leuten all die Produkte zu geben, die sie gerne essen möchten und dabei aber Umweltschäden, Pandemierisiken und Tierleid zu umgehen. Daher denke ich, dass Menschen zwar auch in der Zukunft tierische Produkte essen werden, aber dass der Produktionsweg über das Tier ein Auslaufmodell ist.
Vegan-Klischee ade!
512 Seiten
ISBN 978-3-95453-189-9
Becker Joest Volk Verlag
Vegan-Klischee ade!
Das Kochbuch
256 Seiten
ISBN 978-3-8310-3885-5
DK Verlag Dorling Kindersley
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